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Wenn die Schlange sich nicht häutet und der Wolf höflich schweigt!

2025 steht laut dem chinesischen Kalender im Zeichen der Schlange. Ein Jahr, das Transformation verspricht – nicht im Außen, nicht über Nacht, sondern von innen heraus, in leisen, schlauen Spiralen. Die Schlange ist kein Tier der Eile. Sie beobachtet, wartet, prüft – und häutet sich erst, wenn es Zeit ist. Ich frage mich: Was, wenn die Schlange in mir gerade einfach nicht so weit ist? Was, wenn sie eben nicht auf Kakao, Soundbath und Affirmation reagiert? Was, wenn ihre Häutung keine Headline ist, sondern ein stiller, innerer Entschluss?



Im Coaching arbeite ich oft genau mit diesem Dazwischen. Zwischen Wunsch nach Wandel und panischer Angst vor Verlust. Zwischen dem alten Muster, das sich noch nicht häuten lässt, und dem neuen Weg, der noch nicht sichtbar ist. Die Schlange ist für mich Sinnbild für genau diesen Raum. Nicht laut, nicht sichtbar – aber unumkehrbar. Und irgendwie ekelig und brutal. Was die Schlange wohl fühlt? Und ob sie innerlich weint, heult, - ja - schreit?


Zurück aus der Sonne Ibizas, Salbei- und Scharmanenrauch und der Hoffnung auf Erleuchtung, hat es einfach nicht geknallt. Keine Schlange wickelte sich meine Wirbelsäule hinauf und hoch und kein goldener Lichtstrahl durchfuhr meinen Körper, dass er zu einem mit dem Universum hätte werden können und mich als Lichtgestalt hätte sehen können. Stattdessen Visionen aus Erlebtem, keine Ahnung, ob der Chaga-Chino oder ich selbst mir ein drittes Auge herbei gedichtet habe. Jetzt bin ich zurück und was mich empfängt? Zwei Strafmandate, eine Nebenkostennachzahlung und das deutlich pochende Bewusstsein, dass ich den Chaga-Chino – diesen zeremoniell zubereiteten Chaga-Pilz kombiniert mit Kakao und unklaren Gewürzen, vielleicht auch mit adaptogenen Zusätzen – zuhause einfach nicht nachbauen kann. Vielleicht, weil mir die Zutaten fehlen. Vielleicht, weil mir die Geduld und der wirkliche Wille der Schlange fehlt. Wahrscheinlich: beides. Mein Versuch, auf Alkohol, Kaffee, Mehl, Fleisch und Zucker dauerhaft zu verzichten, fühlt sich in diesen ersten Sommertagen gar nicht nach spiritueller Klarheit, sondern nach tiefer Ablehnung meiner Selbst, klarem Liebesentzug und übler Bestrafung und Beleidigung an. Und so sitze ich hier. Empört, trotzig, frustriert. Realitätserschlagen. Wegen des Gefühls, dass das alles nicht zusammenpasst. Wegen reiner Ambivalenz. Der Schönheit der Insel Ibiza und des sperrigen Alltags, der mich sofort wieder im Griff hat. Des harten Aufpralls einer anderen Realität.


Ich weiß aus der von mir lange inhalierten Theorie, dass Frustration ein innerer Hinweis für etwas ist. Nicht für Versagen. Auch nicht für Schwäche. Sondern ein Impuls dafür, dass etwas nicht mehr passt. Nicht wahr. Ich hadere. Mit meinen Hoffnungen, Erwartungen und vermeintlichen Perfektionen. Und mit dieser Diskrepanz zwischen all den Visionen von Klarheit, die ich bisher so gesammelt habe, und dem Alltag, der auf meinem Schreibtisch liegt. Nichts ist still. Alles ist laut. Alles knallt von rechts nach links. Reality versus Visions. Nichts ist gut. Und es wird auch nicht ruhiger. Die anderen aus der Gruppe klingen in mir nach. Ihre Geschichten. Ihre Rufe, ihr Gejammer und Geheule, ihre Tränen. Aus Momenten der Erleichterung, ihren Erinnerungen und von Befreiung. Ich meine das nicht despektierlich. Es tut nur furchtbar weh. Ich bin Offizierstochter. Manchmal denke ich, das sage schon alles und dann wieder nicht. In meinen Ohren hallt der Satz: „Heul nicht, lauf weiter.“ Oder „heulen kannst du später!“ Und später in meiner Jugend sagten sie: „Heul doch.“ Auf ironische Weise natürlich. Logischerweise hat mein Nervensystem gespeichert, dass lautes Heulen gar keine Option sein kann. Also GAR keine. Dann bleibe ich oft still, wenn es deutlich zu eng wird. Und stark, wenn ich kaputt bin. Und defensiv, ja aggressiv, wenn ich verletzlich bin. Das ist kein Vorwurf an meine Herkunft – aber eine Realität, mit der ich arbeite. Und wenn man dann in einer solchen Gruppe sitzt, wo alle ständig heulen – ein heulender Wolf hätte die Schlange sicher getötet -  essen Wölfe Schlangen? -, dann hat man mit sich selbst zu tun.



In meiner Arbeit als Coach habe ich irgendwann gelernt, dass genau in solchen Momenten der erste Schritt nicht im Tun, also im „Lauf weiter..“ oder „weg“ liegt, sondern im Innehalten und Fühlen. Nicht im Lösen, sondern im Aushalten. Nicht im Durchhalten. Im Aushalten. Ich arbeite mit vielen Menschen aus meiner Generation, die etwas ändern wollen – aber oft keine Sprache mehr dafür haben und ihre Gefühle nicht auszudrücken wissen. Die nicht selten glauben, sie müssten sich „zusammenreißen“, „disziplinierter sein“ oder „endlich Klarheit schaffen“. Und genau da beginnt meine Arbeit. Mit dem Zustand. Und der braucht Aufmerksamkeit, keine Optimierung. Ich lade meine Klient:innen dann dazu ein, aus dem Säbelzahntiger-Reflex herauszutreten – und in den sogenannten Resonanzraum zu marschieren. Wo sich das Unbekannte angeschaut wird, ohne sofort verstanden werden zu müssen. Wo ein leiser Gedanke genauso willkommen ist wie der fette Kloß im Hals oder der Wunsch, endlich einmal laut, ja richtig laut, zu schreien oder zu heulen, - ohne Konsequenzen.


Vielleicht wird es nichts mit der Schlange und mir in diesem Jahr. Vielleicht noch mit dem Wolf. Vielleicht wickelt sich die Schlange einfach um meine Rechnungen, statt um meine Wirbelsäule. Vielleicht ist auch der Chaga-Chino gerade einfach nur ein Getränk – und kein Versprechen. Vielleicht sitzt der Wolf auch einfach nur neben mir und die Schlange traut sich nicht.


Cheers. Auf alle, die sich häuten!


 

 
 
 

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