„Angst hat noch niemanden geholfen!“, hat Frau Meyer gesagt, als ich vor dem Turnbock stand und partout nicht drüber wollte. Später in der Jugend waren es die Hürden auf der 120-Meter-Strecke. Gleicher Satz: "Angst hat noch niemandem geholfen". Mein Trainer wollte mir damit vielleicht vermitteln, dass Angst besonders hinderlich oder tatsächlich kontraproduktiv sei, insbesondere wenn sie, wie bei mir, lähmend wirkte und einen davon abhielt, über Hürden zu laufen oder vielleicht große Entscheidungen zu treffen.
Grundsätzlich ist Angst ein wichtiger Bestandteil unserer Überlebensmechanismen. Sie schützt uns. Sie warnt uns, wenn wir mit potenziell gefährlichen Situationen konfrontiert sind. In diesem Kontext kann Angst sogar lebensnotwendig sein. Der Kontext und das Ausmaß der Angst spielen eine entscheidende Rolle. Ist sie nützlich oder schädlich? Mit Hilfe eines Kontrastmittels könnte man, ähnlich wie im MRT, gefährliche Herde besser erkennen und einschätzen. Mit deiner, dann sichtbaren und zu bewertenden, Angst könntest du dann auch erkennen, wo dein Glück vermeintlich läge, oder? Angst und Glück. Angst oder Glück? Deine Einschätzung, dein Kontrastmittel, ist gefragt.
Wenn wir an das Glück denken, denken wir meist an ausschließlich positive Ereignisse. Doch genauso wie ein Hürdenläufer ein breites Spektrum an Training benötigt, um einen erfolgreichen und glücklichen Lauf zu erleben, benötigen wir eine Vielzahl von Emotionen, um die Fülle des Glücks wirklich zu spüren und wertzuschätzen. Ein oft verkannter player in diesem emotionalen Spektrum ist die Angst. Angst mag unangenehm sein, aber sie agiert wie ein notwendiges Kontrastmittel, das das Glück hervorhebt und den Lauf in voller Kraft zur Geltung bringt.
War die Angst in meinem Startblock notwendig? Mein Herz granatenschnell schlagend? Ja. Denn sobald ich losrannte und die erste Hürde schon überflog, sicher landete und weiter flog, wurde die Angst durch ein krachendes Glücksgefühl ersetzt. Ohne die vorherige Angst wäre dieses Hochgefühl weniger intensiv gewesen. Menschliche Emotionen sind nicht statisch. Sie sind dynamisch und fließend. Unsere aktuellen Gefühle werden oft in Relation zu unseren vorherigen empfunden. Daher erscheint eine Phase des Glücks nach Zeiten der Angst intensiver und satter, genauso wie die Sonne nach einem Sturm heller scheint. Ohne sie hätten wir kein Kontrastmittel, das uns hilft, das wahre und wunderbare Ausmaß unseres Glücks zu erkennen. Und wie geht das neurologisch? Die kontrastierende Natur von Angst und Glück wird durch die Funktionsweise unseres Gehirns verdeutlicht. Bei Angst wird nämlich die Amygdala, die kleine Mandel unseres Gehirns, besonders aktiviert. Wenn jedoch die angstauslösende Situation vorüber ist und wir Glücksgefühle erfahren, wird die Aktivität in anderen Bereichen unseres Gehirns, wie dem präfrontalen Kortex und dem limbischen System, erhöht. Diese Verschiebung der neuronalen Aktivität verdeutlicht dir vielleicht die Polarität dieser beiden Emotionen und wie das eine das andere hervorhebt.
Angst gibt uns also eine Referenz, ein Gegengewicht, das das Erleben von Glück erst ermöglicht. Ohne Dunkelheit gibt es kein Licht, ohne Angst gibt es kein Glück - das eine definiert das andere. So paradox es auch klingen mag, Angst kann uns tatsächlich zu tieferem und intensiverem Glück verhelfen. In Balance. Du sollst dich jetzt nicht ständig auf die Suche nach dem nächsten Thrill machen, aber hey: Was ist dein Thrill? Deine Angst? Also nimm dir ein Kontrastmittel und schau auf deine nächste Stufe, die du wagst zu gehen: Schädlich? Oder nützlich? Und wenn Letzteres ist: Geh´ und wandle deine Angst in Mut um. Denn Angst hat schon jemandem geholfen. Dir auch?
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