Barfuß gehe ich über den feuchten Rasen. Zwischen meinen Zehen spüre ich den Tau, die Kälte, die Kraft des Bodens und die Energie der Sonne, die mein Gesicht wärmt. Hier, in Göttin, fernab des Hamsterrads, könnte ich in Einklang mit mir selbst kommen. Doch so einfach ist das nicht. Und was heisst das überhaupt: In Einklang?
Mit 44 Jahren habe ich viele Lebensphasen durchlaufen: Höhen und Tiefen, Selbstfindung, Zweifel und Anpassung. Und nun bin ich hier, in diesem Retreat, weil mich das Leben – oder besser gesagt, ich selbst – immer noch herausfordert. Dieses Gefühl, dass etwas fehlt, begleitet mich seit Jahrzehnten. Vielleicht kennst du es auch: eine leise Unruhe, obwohl nach außen alles in Ordnung scheint.
In der Coaching-Szene hören wir oft, man solle positiv sein und seine Wünsche visualisieren, damit das Universum sie erfüllt. Wie sollte es? Schmerz, Zweifel und Trauer sollen schnell in etwas Positives verwandelt werden. Es scheint fast ein Scheitern zu sein, wenn man mit negativen Gefühlen kämpft. Doch das Leben ist nicht immer witzig, komisch, amüsant. Manchmal muss man Schmerz zulassen. Akzeptieren, dass nicht alles sofort besser wird, auch wenn man es sich „schön redet“. Heilung beginnt oft mit der Akzeptanz, dass nicht alles linear verläuft und wir manchmal auch so richtig tief fallen.
Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Optimierung fixiert ist – körperlich, emotional, beruflich. Schmerz wird oft als Feind betrachtet. Aber was, wenn er uns etwas sagen will? Was, wenn gerade dieser Schmerz der Hinweis auf notwendige innere Veränderungen ist, nicht auf äußere wie einen neuen Job oder eine neue Beziehung? Die Akzeptanz des Schmerzes ist ein unterschätzter Aspekt der persönlichen Entwicklung. Viele Coaches lehren, das Unangenehme zu verdrängen, bevor es wirklich verstanden wird. Doch was wir nicht durchfühlen, bleibt in uns stecken und verfolgt uns als häßliches Muster und Schatten.
Manchmal glaubt man ja, dass vor allem das Außen das Problem sei. Doch ganz sicher liegt vieles an der Beziehung zu uns selbst. Die äußere Welt spiegelt oft die innere wider, aber auch das lässt sich nicht sofort ändern. Es braucht Zeit & Ausdauer, Disziplin, Geduld und Selbstakzeptanz. Es ist in Ordnung, wenn nicht alles perfekt ist. Es ist in Ordnung, wenn du nicht ständig glücklich bist. Gerade in der Akzeptanz des Moments – auch wenn er unangenehm ist – liegt ziemlich viel Power.
Seit meiner Rückkehr von Ibiza will ich mich einfach nicht mehr anpassen: weder an ein äußeres Leben, das mir nicht entspricht, noch an innere Erwartungen, die mich lähmen. Die ständige Suche nach Fülle, dem perfekten Moment, der perfekten Version von mir selbst, hat mich müde, ohnmächtig & traurig gemacht. Es geht nicht darum, ständig etwas Höheres zu jagen, sondern das Hier und Jetzt anzunehmen – mitsamt aller Unvollkommenheiten. Dazu gehört auch, Schmerz, Angst, Scham & Schuld und Unsicherheit zuzulassen. Und sie sind keine Feinde, sondern Wegweiser.
Das Kind muss an die frische Luft – und es muss lernen, mit dem Regen und den stürmischen Tagen klarzukommen. Auf den Herbst!
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