In wiederholten Artikeln lese ich über die Volkskrankheit Depression, mit der vermehrt auch Menschen ein Coaching suchen, auch weil es schlichtweg zu wenig Therapieplätze gibt. Worte wie „Stille Epidemie“ oder „schleichende Dunkelheit“ tauchen auf und hinterlassen mir Bauchschmerzen – und die Frage: Was macht dieser Zustand mit uns als Gesellschaft? Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass weltweit etwa 322 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. Das sind mehr als 4,4 Prozent der Weltbevölkerung und 18 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Für Deutschland schätzt die WHO die Zahl der Menschen mit Depressionen auf über vier Millionen. Immer mehr Menschen bekennen sich öffentlich dazu und klären laut auf. Jim Carrey, Julia Roberts, Kurt Krömer, Lena, Nora, all die wundersamen Menschen, die doch scheinbar andere Menschen den ganzen Tag zu inspirieren und begeistern, ja zum Lachen bringen scheinen.
Aber was ist da los? Depression ist mehr als ein persönlicher Schmerz; sie ist ein leiser Schatten, der manchmal von den Rändern unseres Alltags herantritt und sich ausbreitet, bis das Licht kaum noch durchdringt. Besonders im Herbst scheint die Welt diesen Schatten zu spiegeln. Die Tage verlieren ihre Helligkeit, die Nächte greifen nach uns mit einer Kälte, die nicht nur körperlich ist. Es gibt wissenschaftliche Erklärungen dafür – die Psychologie spricht von einem Zusammenspiel aus fehlendem Licht, veränderter Hormonproduktion und einem natürlichen Rückzug, der in unserer modernen, rastlosen Welt kaum Platz findet. Die Zahlen, nochmal wie oben genannt, sind alarmierend: Rund 5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erleben schon saisonale Depressionen, wobei die Dunkelziffer weit höher sein dürfte.
Und ist Depression nur eine Krankheit? Sie ist auch ein Symbol für etwas, das in unserer Gesellschaft so schwer auszuhalten scheint: Leere, Stille, das Innehalten, das Raum für die Akzeptanz für Gefühle gibt, die wir nicht ertragen und vielleicht zu lange weggedrückt haben. Psychologisch betrachtet gibt es einen Unterschied zwischen Melancholie, die Raum für Reflexion lässt, und Depression, die uns diesen Raum nimmt. Doch beide Zustände haben eines gemeinsam: Sie verlangen nach einem Einfühlen, einem Annehmen, anstatt nach einem schnellen „Weg damit“. Weg mit Schmerz, Trauer, Angst, Schuld und Scham. Der Herbst zeigt uns eigentlich doch, dass Dunkelheit nicht nur eine Abwesenheit von Licht ist, sondern auch ein Zustand, der eine Antwort verlangt. Und Antworten suchst du doch?! Vielleicht mal nicht in Form von Aktionismus, sondern in Form von Akzeptanz – einer Akzeptanz, die uns lehrt, das Grau zu sehen, ohne daran zu zerbrechen.
Und nun? Was machen wir, wenn wir erkennen, dass auch in uns ein Novembersturm tobt? Wenn wir im Wald spazieren gehen, wird dieser gerade sichtbar. Der von mir so geliebte Baum, der seine Blätter jetzt verliert, fragt gar nicht, ob das eigentlich angebracht ist. Er hält nichts fest, obwohl er es könnte. Er weiß, dass Loslassen zum Zyklus gehört, auch wenn es karg, nackt und vulnerabel macht. Wir aber hadern mit dem Kargen. Wir füllen die Dunkelheit mit künstlichem Licht, als könnten wir damit die Nacht austricksen. Wir beschriften Kalender mit Aufgaben und Erfolgslisten, die den Stillstand vertreiben sollen, und sind doch überrascht, wenn uns die Leere, die Angst und der Schmerz trotzdem findet – in einem zu ruhigen Moment, einem Blick in den Regen, einem unerklärlichen Seufzen.
Vielleicht liegt darin die Einladung des Herbstes: Er zeigt uns, dass Stillstand nicht das Ende ist, sondern eine Zwischenzeit, ein Boden für Neues. Die Psychologie nennt das auch „den Raum dazwischen“ – den Übergangszustand, in dem nicht alles klar ist, in dem etwas Altes gegangen ist und das Neue noch nicht da. Es ist ein unbequemer Ort, weil er sich nicht mit Antworten zufriedengibt. Und genau hier beginnt die Transformation. Nicht durch Aktionismus, sondern durch das Annehmen, Warten, das Zuhören. Ich glaube, der Herbst nimmt uns das Übermaß an Licht, damit wir noch genauer hinsehen und zuhören.
Wann hast du das letzte Mal ganz ganz genau hingesehen und zugehört? Nicht den Nachrichten, nicht deinem Timer, nicht der Stimme in deinem Kopf, die dich zur Eile treibt – sondern dem leisen Flüstern eines Regentages? Vielleicht ist Depression also auch eine Einladung und Botschaft. Keine angenehme, keine willkommene – aber eine, die uns fragt, ob wir bereit sind, unser Leben noch einmal zu überdenken. Der Herbst und der Winter geben uns den Rahmen dafür: Sie ziehen uns nach innen und ermöglichen uns auch, zu träumen, wenn wir das wollen. Träume, die uns nicht aus der Dunkelheit fliehen lassen, sondern uns daran erinnern, dass das Leben ein Kreislauf ist und dass es schön ist.
Depression mag eine Krankheit sein, aber sie ist ganz bestimmt auch eine Botschaft. Und wer weiß – manchmal zeigt sich diese nicht zwischen vier Wänden, sondern draußen, wo der Wald uns daran erinnert, dass auch wir ein Teil der Natur sind. Und wenn du bereit dazu bist, macht auch das Coaching Sinn.
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